11.11.2024

Besteuerung stiller Reserven bei Wechsel zur ordentlichen Steuerpflicht

1. Allgemeines

Die Übergangsnorm von § 259b StG regelt die kantonalen Steuerfolgen für die bis 2019 privilegierten Statusgesellschaften (Holding-, Domizil- und Verwaltungsgesellschaften nach §§ 85 und 86 bisherigen Rechts), welche seit dem 1.1.2020 der ordentlichen Steuerpflicht unterstehen. Dabei gilt das Augenmerk den stillen Reserven, welche bisher unter dem privilegierten kantonalen Steuerstatus nicht steuerbar waren und zukünftig der ordentlichen Besteuerung unterliegen werden. Um den Übergang von der privilegierten zur ordentlichen Besteuerung sachgerecht zu lösen (keine Überbesteuerung bisheriger stiller Reserven), stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, welche die steuerliche Aufdeckung der stillen Reserven inkl. der selbst geschaffenen Mehrwerte (Goodwill) sowie die spätere Besteuerung unter neuem Besteuerungsregime regeln.

Während § 259b Abs. 1 und 2 StG einen Sondersatz (Sondersatzlösung) vorsieht, richtet sich der altrechtliche Step-up (Aufdeckungslösung) nach der bisher bekannten Veranlagungspraxis. Die Norm von § 259b Abs. 3 mit der Entlastungsbegrenzung regelt somit die altrechtliche Aufdeckungsmöglichkeit (vgl. LU StB Bd. 2 Weisungen StG § 72a-e Nr. 1 Ziff. 4).

Die Aufdeckung der stillen Reserven wird generell nur auf Antrag gewährt, der im Normalfall mit der Steuererklärung 2019 zu stellen war bzw. auch im Rahmen eines vorgängigen Rulings beurteilt werden kann.

2. Neurechtlicher Step-up nach § 259b (Sondersatzlösung)

Diese kantonale Übergangsregelung ermöglicht während der 5 Jahre nach Aufgabe des Status (2020 bis 2024) die stillen Reserven (inkl. Goodwill), welche unter dem privilegierten Steuerstatus geschaffen wurden und bisher nicht steuerbar waren, zu einem Sondersatz von 0.4% pro Einheit steuerlich abzurechnen (getrennt vom übrigen Gewinn). Für Gewinne, welche auch früher ordentlich besteuert worden wären, gilt weiterhin der ordentliche Steuersatz von 1.5% pro Einheit. In Bezug auf den neurechtlichen Step-up ist keine Entlastungsbegrenzung zu beachten.

Das Total der bestehenden stillen Reserven und des selbst geschaffenen Mehrwerts (Goodwill) werden mit der bisherigen Auslandquote in einer anfechtbaren Verfügung festgesetzt. Dabei führt diese neurechtliche Aufdeckung nicht zu einer versteuerten stillen Reserve im steuerbaren Eigenkapital. Die Ermittlung der stillen Reserven hat nach einer anerkannten bzw. objektiv nachvollziehbaren Bewertungsmethode zu erfolgen. Es ist darauf zu achten, dass die angewandte Methode das Geschäftsmodell der Gesellschaft angemessen berücksichtigt und die Annahmen realistisch und nachvollziehbar sind. Relevante stille Reserven können insbesondere auf Immaterialgüterrechten bestehen. Hingegen sind stille Reserven auf Liegenschaften nicht zu berücksichtigen, da die Liegenschaftserträge bereits unter dem privilegierten Steuerstatus ordentlich zu besteuern waren.

Nicht Gegenstand der Besteuerung zum gesonderten Satz sind die Beteiligungserträge, welche weiterhin im Rahmen des Beteiligungsabzuges freigestellt sind (keine Aufdeckungsmöglichkeit der stillen Reserven auf qualifizierten Beteiligungen).

3. Altrechtlicher Step-up (Aufdeckungslösung)

Diese altrechtliche Praxislösung dient der steuerneutralen Aufdeckung der unter privilegierter Besteuerung gebildeten stillen Reserven bzw. des selbst geschaffenen Mehrwerts in der Steuerbilanz auf den Zeitpunkt der Statusaufgabe per 31.12.2019. Eine handelsrechtliche Verbuchung erfolgt nicht. Die aufgedeckten stillen Reserven können in der Regel innert 10 Jahren unter Beachtung der Entlastungsbegrenzung von 70% steuerwirksam abgeschrieben werden.

4. Überblick über die Aufdeckungsmöglichkeiten stiller Reserven

Das folgende Schema zeigt einen Überblick über die Grundsätze der möglichen steuerneutralen Aufdeckung stiller Reserven im kantonalen Übergangsrecht (alt- und neurechtlicher Step-up):  

Step-up bei Holding  Ja Nein
Immobilien   X
Wertschriften (ohne Beteiligungen) ≥ 10%  X  
Patente, übrige Aktiven X  
Beteiligungen ≥ 10%:
Verkehrswert > Gestehungskosten 
Im Umfang der Differenz Gestehungskosten zum tieferen Gewinnsteuerwert (bundessteuerliche Abrechnung gemäss Art. 62 Abs. 4 DBG)  Bei zukünftigen Veräusserungen unterliegt die Differenz zwischen Verkaufserlös und Gestehungskosten dem Beteiligungsabzug. 
Beteiligungen ≥ 10%:
Verkehrswert < Gestehungskosten 
Herabsetzung der Gestehungskosten auf den tieferen Verkehrswert 
Verlustverrechnung   Keine Verrechnung on Vorjahresverlusten ab 2020

Step-up bei Verwaltungsgesellschaft  Ja Nein
Auslandgeschäfte Im Umfang der bisher steuerfreien Quote
 
Inlandgeschäfte   X
Immobilien / Beteiligungen  vgl. Holding  vgl. Holding 
Verlustverrechnung Im Umfang der bisherigen steuerbaren Quote   

Ein Vergleich der möglichen Step-up-Varianten zeigt im Wesentlichen die folgenden Unterschiede:

 Step-up altrechtlich Step-up neurechtlich
Aufgedeckte stille Reserven werden in der Steuerbilanz offengelegt und fortgeführt.  Die stillen Reserven werden im Rahmen einer Verfügung durch die Dienststelle Steuern festgestellt.
Stille Reserven sind Bestandteil des steuerpflichtigen Eigenkapitals.  Stille Reserven sind nicht Bestanteil des steuerpflichtigen Kapitals. 
Steuerwirksame Abschreibung in der Regel innert 10 Jahren  Während den folgenden 5 Jahren zum Sondersatz steuerbar (0.4% x Einheiten) 
Mindestens 30% des steuerbaren Reingewinns vor Entlastungen ist ordentlich steuerpflichtig (Entlastungsbegrenzung auf 70%).  Keine Entlastungsbegrenzung 

Die Kombination von neu- und altrechtlichem Step-up wird zugelassen, womit sich die steuermindernde Wirkung auf 10 Jahre ausdehnt. Der konkrete Antrag mit der betraglichen Zuteilung der stillen Reserven auf die massgebenden zwei Zeiträume ist spätestens mit der Steuererklärung 2019 einzureichen. Ohne besondere Begründung ist von einer hälftigen Aufteilung auf die beiden Zeitperioden auszugehen. Dabei ist der altrechtliche Anteil dem steuerbaren Kapital zuzurechnen. 

5. Beispiel einer Verwaltungsgesellschaft mit Step-up (alt-/neurechtlich)

Bilanz

Aktiven  Mio. CHF Passiven Mio.CHF
Diverse Aktiven 0.5 Diverse Passiven 11
Konzernforderungen 459 Konzernschulden 249
Patente 0.5 Eigenkapital 200
Goodwill 0    
Total Aktiven 460 Total Passiven 460

Berechnung der stillen Reserven  Mio. CHF
Verkehrswert Gesellschaft (Annahme; gemäss Bewertungsunterlagen)   10'200
Abzug steuerpflichtiges Eigenkapital  -200
Stille Reserven / Goodwill  10'000
Davon Quote Schweiz 10% (Inlandgeschäft gem. bisheriger Spartenrechnung)  1'000
Davon Quote Ausland 90% (Auslandgeschäft gem. bisheriger Spartenrechnung)
privilegierte Besteuerungsquote unter bisherigem Verwaltungsstatus 15%, womit eine Aufdeckung der stillen Reserven von 85% zulässig ist 
9'000
7'650
Die Aufdeckung der stillen Reserven wird auf diesen Betrag festgesetzt; altrechtlicher Step-up in der Steuerbilanz / neurechtlicher gemäss Verfügung  7'650

Ausgehend von diesen Zahlen, werden unter Annahme eines handelsrechtlichen Gewinns von Mio. 1'000 die konkreten Steuern für Bund und Kanton (3.7 Einheiten Stadt Luzern) pro 2020 nach altrechtlichem bzw. neurechtlichem Systematik wie folgt berechnet:

Altrechtlich pro 2020  Gewinn
Mio. CHF
Steuersatz
%
Steuern
Mio. CHF
Gewinn gem. ER massgebend Bund
 1'000 8.5 85
Goodwillabschreibung über 10 Jahre linear = CHF 765 Mio.
maximal jedoch (Sicherstellung Mindestgewinn 30%) 
-700    
Steuerpflichtiger Gewinn Kanton
300 5.55 16.65
Total Steuern 2020     101.65

Die versteuerte stille Reserve wird per 31.12.2020 noch CHF 6'950 Mio. betragen (Nachführung im steuerbaren Kapital). Dieser Betrag ist innerhalb der nächsten 9 Jahre unter Beachtung der Entlastungsbegrenzung zu konsumieren. Andernfalls wird ein allfälliger Restbetrag dannzumal verfallen. 

Neurechtlich pro 2020  Gewinn
Mio. CHF
Steuersatz
%
Steuern
Mio. CHF
Gewinn gem. ER massgebend Bund   1'000 8.5 85
Gewinn Kanton in der Quote von 90% zum Sondersatz:
0.4% x 3.7 Einheiten 
900 1.48 13.32

Gewinn Kanton in der Quote von 10% zum ordentlichen Satz:
1.5% x 3.7 Einheiten 

100 5.55 5.55
Total Steuern 2020     103.87

Die restlichen stillen Reserven werden per 31.12.2020 noch 6'750 Mio. betragen (gemäss Verfügung von 7'650 Mio. abzüglich 900 Mio.). Die privilegierte Sondersatzbesteuerung gilt während 5 Jahren (§ 259b). Sofern dieser restliche Betrag von 6'750 in den nächsten 4 Jahren zufolge fehlender Gewinne nicht voll verrechnet werden kann, verfällt dieser Betrag und damit auch der Anspruch auf die Sondersatzbesteuerung.